Veröffentlicht am Mai 15, 2024

Die Haltbarkeit recycelter Mode ist kein Zufall, sondern eine Frage messbarer Faserqualität und der richtigen Prüftechnik.

  • Die entscheidende Weiche ist das Recyclingverfahren: Chemisches Recycling erhält die Faserintegrität, während mechanisches Recycling die Fasern verkürzt und zu Qualitätseinbußen führen kann.
  • Mit gezielten Tests im Geschäft (Dehnungs-, Reib- und Haptikprüfung) können Sie die Verarbeitungsqualität selbst beurteilen und minderwertige Ware identifizieren.

Empfehlung: Betrachten Sie sich als Materialgutachter. Investieren Sie nicht blind in ein Label, sondern in nachweisbare Qualität, die Sie durch die hier vorgestellten Methoden selbst verifizieren können.

Der durchschnittliche Konsum in Deutschland ist alarmierend: Wir kaufen rund 60 Kleidungsstücke pro Jahr, doch laut Bundesumweltministerium werden bis zu 40% davon selten oder nie getragen. In dem Versuch, diesen Kreislauf zu durchbrechen, wenden sich viele umweltbewusste Käufer recycelter Mode zu – oft begleitet von einer nagenden Skepsis: Ist ein T-Shirt aus wiederverwerteten Fasern wirklich eine nachhaltige Investition oder nur ein kurzlebiges Produkt mit grünem Anstrich, das nach wenigen Wäschen seine Form verliert?

Die gängigen Ratschläge wie „Achten Sie auf bekannte Marken“ oder „Prüfen Sie das Etikett“ greifen dabei zu kurz. Sie lassen die entscheidende Frage unbeantwortet: Woran erkenne ich als Laie die *tatsächliche* materielle Qualität und damit die Langlebigkeit eines recycelten Kleidungsstücks? Die Unsicherheit führt oft dazu, dass man entweder aus Vorsicht gar nicht kauft oder enttäuscht wird, wenn das teuer erworbene „Eco-Teil“ schnell verschleißt.

Doch was wäre, wenn der Schlüssel zur Bewertung nicht im Marketing, sondern in der Materialwissenschaft liegt? Dieser Artikel verfolgt einen anderen Ansatz. Er versetzt Sie in die Lage einer Textilingenieurin und gibt Ihnen das technische Wissen an die Hand, um die Spreu vom Weizen zu trennen. Es geht nicht darum, Labels zu vertrauen, sondern darum, die Faserintegrität, die Verarbeitung und die potenziellen Schwachstellen eines Kleidungsstücks selbst zu beurteilen. Sie lernen, die physikalischen Eigenschaften von Stoffen zu deuten und die Anzeichen für hohe Qualität von denen für Greenwashing zu unterscheiden.

Wir werden die Mythen um Recycling-Qualität mit Fakten entkräften, Ihnen eine handfeste Prüfanleitung für den Einkauf an die Hand geben und aufzeigen, welche Materialien sich für welche Kleidungsstücke eignen. So treffen Sie fundierte Entscheidungen, die nicht nur dem Planeten, sondern auch Ihrem Geldbeutel und Ihrem Anspruch an langlebige Mode gerecht werden.

Warum die Vorstellung, dass Recycling-Mode schlechter ist, oft ein Mythos ist?

Die Skepsis gegenüber recycelter Kleidung rührt oft von negativen Erfahrungen mit minderwertigen Produkten her. Doch die pauschale Annahme, Recycling bedeute automatisch Qualitätsverlust, ist technisch nicht haltbar. Der entscheidende Faktor ist nicht das *ob*, sondern das *wie* des Recyclings. Hier müssen wir zwischen zwei fundamental unterschiedlichen Verfahren unterscheiden: dem mechanischen und dem chemischen Recycling. Das mechanische Recycling, bei dem Textilien zerkleinert und zu neuen Fasern versponnen werden, führt tatsächlich zu einer Verkürzung der Faserlänge. Dies kann die Reißfestigkeit und Weichheit des Endprodukts beeinträchtigen. Es ist der Hauptgrund für Probleme wie Pilling bei minderwertigen recycelten Stoffen.

Demgegenüber steht das chemische Recycling. Bei diesem Hightech-Verfahren werden Alttextilien (z. B. aus Baumwolle oder Polyester) auf molekularer Ebene aufgelöst und zu einer neuen Faser-Rohmasse verarbeitet, die qualitativ von einer Primärfaser nicht zu unterscheiden ist. Die sogenannte Faserintegrität bleibt vollständig erhalten. Das Problem: Dieses Verfahren ist komplex und teuer, weshalb laut einer NABU-Studie derzeit weniger als 1 % der Kleidung in der EU aus einem solchen geschlossenen Faser-zu-Faser-Kreislauf stammt. Die meisten als „recycelt“ deklarierten Produkte basieren heute noch auf mechanischem Recycling oder auf dem einfacheren Recycling von PET-Flaschen zu Polyestergarn.

Zusätzlich garantieren strenge Vorschriften wie die EU-REACH-Verordnung, dass auch recycelte Materialien auf schädliche Chemikalien geprüft werden und somit gesundheitlich unbedenklich sind. Gütesiegel wie der deutsche „Grüne Knopf“ gehen noch weiter und stellen zusätzliche Anforderungen an die Produktqualität und soziale Standards. Der Mythos der schlechteren Qualität entsteht also, weil der Markt von Produkten dominiert wird, die auf einfacheren Technologien basieren. Hochwertige recycelte Mode existiert, erfordert aber ein geschultes Auge, um sie zu erkennen.

Wie Sie in 6 Schritten die Qualität recycelter Kleidung im Laden beurteilen?

Vertrauen ist gut, eine eigene technische Prüfung ist besser. Anstatt sich nur auf das Etikett zu verlassen, können Sie direkt im Geschäft mit wenigen Handgriffen die wahrscheinliche Qualität und Langlebigkeit eines recycelten Kleidungsstücks einschätzen. Diese Tests zielen darauf ab, Schwächen in der Faserintegrität und Verarbeitung aufzudecken, die typisch für minderwertiges Recycling sind. Betrachten Sie dies als Ihren persönlichen Qualitäts-TÜV vor dem Kauf.

Jeder dieser Schritte gibt Ihnen einen Hinweis auf die zugrunde liegende Materialqualität. Ein Stoff, der sich schnell erholt, deutet auf lange, elastische Fasern hin – ein gutes Zeichen. Ein chemischer Geruch hingegen kann ein Warnsignal für aggressive Nachbehandlungen sein, die nötig waren, um Mängel im Rohmaterial zu kaschieren. Die Kombination dieser Tests liefert ein erstaunlich präzises Bild.

Nahaufnahme einer Hand, die Stoffqualität durch Dehnen testet

Besonders die Prüfung der Nahtverarbeitung ist entscheidend bei Mischgeweben. Wenn recycelte und neue Fasern schlecht aufeinander abgestimmt sind, kann es zu Spannungen im Material kommen, die sich zuerst an verzogenen Nähten zeigen. Dies ist ein Vorbote für das spätere „Differential Shrinking“, bei dem sich die Stoffarten beim Waschen unterschiedlich stark zusammenziehen.

Ihr Qualitäts-Check im Geschäft: 6-Schritte-Testplan

  1. Pilling-Test: Reiben Sie den Stoff an einer unauffälligen Stelle (z. B. Innensaum) für 10 Sekunden kräftig aneinander. Bilden sich sofort kleine Knötchen, deutet das auf kurze, lose Fasern und eine hohe Pilling-Anfälligkeit hin.
  2. Stretch & Recover Test: Dehnen Sie einen kleinen Teil des Stoffes (z. B. am Ärmel) für 5 Sekunden. Beobachten Sie, wie schnell und vollständig er in seine ursprüngliche Form zurückkehrt. Eine langsame oder unvollständige Rückstellung signalisiert eine geringe Elastizität und Faserstärke.
  3. Geruchscheck: Riechen Sie direkt am Stoff. Ein starker chemischer oder „plastikartiger“ Geruch kann auf aggressive Färbe- oder Veredelungsprozesse hindeuten, die oft zur Kaschierung von Materialschwächen eingesetzt werden.
  4. Haptik-Prüfung: Fühlen Sie den Stoff. Fühlt er sich unnatürlich steif, brettig oder kratzig an? Hochwertige recycelte Fasern sollten sich, je nach Material, weich und geschmeidig anfühlen. Eine übermäßige Steifheit kann auf eine starke chemische Ausrüstung hindeuten.
  5. Garnkonsistenz-Prüfung: Halten Sie den Stoff (insbesondere bei T-Shirts oder Hemden) gegen eine Lichtquelle. Achten Sie auf deutliche Unregelmäßigkeiten, dickere oder dünnere Stellen im Garn. Ein gleichmäßiges Gewebebild spricht für eine hohe Verarbeitungsqualität.
  6. Nahtprüfung: Legen Sie das Kleidungsstück flach aus. Verlaufen die Seitennähte gerade oder ziehen sie sich spiralförmig? Verzogene Nähte sind ein klares Indiz für Spannungen im Gewebe, die oft bei schlecht abgestimmten Mischungen aus recycelten und neuen Fasern auftreten.

T-Shirts oder Wintermäntel: Für welche Kleidung ist Recycling-Material am besten geeignet?

Nicht jedes recycelte Material eignet sich für jedes Kleidungsstück gleichermaßen. Die Eignung hängt direkt von der durch das Recyclingverfahren beeinflussten Faserlänge und -struktur ab. Funktionale Oberbekleidung wie Winterjacken oder Windbreaker stellt andere Anforderungen an ein Material als ein T-Shirt, das direkt auf der Haut getragen wird. Für eine fundierte Kaufentscheidung ist es daher essenziell zu wissen, in welchen Produktkategorien recycelte Stoffe ihre Stärken voll ausspielen können.

Die untenstehende Eignungspyramide zeigt deutlich: Für robuste Außenmaterialien, bei denen Abriebfestigkeit und Wetterbeständigkeit im Vordergrund stehen, ist recyceltes Polyester (rPET) aus PET-Flaschen eine exzellente Wahl. Hier kann die Qualität von Neuware oft zu 100 % erreicht werden. Die deutsche Outdoor-Marke Pyua aus Kiel beispielsweise hat ihre gesamte Kollektion auf hochfunktionales Recycling-Polyester aufgebaut und beweist, dass Spitzenleistung und Nachhaltigkeit Hand in Hand gehen. Bei Kleidungsstücken mit hohem Hautkontakt wie T-Shirts oder feinen Hemden ist die Situation komplexer. Hier führt rein mechanisch recycelte Baumwolle oft zu einem kratzigeren Gefühl und geringerer Haltbarkeit. Qualitätshersteller setzen daher auf Mischungen aus recycelten Fasern und hochwertiger Bio-Baumwolle, um Tragekomfort und Langlebigkeit zu vereinen.

Eignungspyramide für recycelte Materialien nach Kleidungstyp
Kleidungstyp Recycling-Eignung Empfohlenes Material Qualitätsfaktor
Winterjacken Sehr hoch rPET (recyceltes Polyester) 100% Qualitätserhalt
Wollmäntel Hoch Recycelte Wolle aus Italien 90% durch Re-Kardierung
Sportbekleidung Mittel-Hoch Recyceltes Elastan/Polyester-Mix 85% Funktionalität
T-Shirts Mittel Mix: Recycelt + Bio-Baumwolle 60-70% bei Beimischung
Feine Hemden Niedrig Besser Primärfasern < 50% Qualität

Eine besondere Stärke zeigt sich bei recycelter Wolle, die oft aus Produktionsabfällen in Italien stammt. Durch ein spezielles Verfahren (Re-Kardierung) wird eine Faserqualität erreicht, die fast an Neuware heranreicht und sich hervorragend für hochwertige Mäntel eignet. Die Faustregel lautet also: Je weiter das Kleidungsstück vom Körper entfernt ist und je robuster seine Funktion, desto unproblematischer ist der Einsatz von recycelten Materialien.

Die 3 Qualitätsprobleme, die schlechte Recycling-Mode nach 5 Wäschen zeigt

Ein hochwertiges recyceltes Kleidungsstück unterscheidet sich nach dem Kauf kaum von Neuware. Die wahren Qualitätsmängel offenbaren sich jedoch oft erst nach wenigen Waschgängen. Diese Probleme sind direkte Konsequenzen einer unzureichenden Faserintegrität, die meist auf ein minderwertiges mechanisches Recycling zurückzuführen ist. Experten weisen darauf hin, dass mechanisches Recycling die Fasern um bis zu 40% verkürzen kann. Diese verkürzten Fasern sind die technische Ursache für die drei häufigsten Probleme, die Sie als Verbraucher beobachten können.

Das erste und sichtbarste Problem ist übermäßiges Pilling. Die kurzen, losen Fasern im Garn lösen sich durch die Reibung in der Waschtrommel und verfilzen an der Oberfläche zu unschönen kleinen Knötchen. Während leichtes Pilling auch bei mancher Neuware vorkommt, ist eine flächendeckende, starke Knötchenbildung nach wenigen Wäschen ein klares Alarmsignal für eine schlechte Faserqualität. Zweitens tritt bei schlecht konzipierten Mischgeweben das Phänomen des „Differential Shrinking“ auf. Die recycelten und neuen Fasern im Gewebe reagieren unterschiedlich auf Wärme und Feuchtigkeit und ziehen sich ungleichmäßig zusammen. Das Resultat: Das Kleidungsstück verzieht sich, Nähte verdrehen sich und die Passform geht dauerhaft verloren.

Das dritte Hauptproblem betrifft die Farb- und Formstabilität. Verkürzte Fasern können Farbpigmente schlechter binden. Besonders bei recyceltem Denim oder intensiv gefärbten Stoffen kann dies zu einem schnellen Ausbleichen und einem „ausgewaschenen“ Look führen. Gleichzeitig fehlt dem Gewebe die strukturelle Stabilität, was dazu führt, dass es ausleiert und seine Form verliert, insbesondere an Bündchen und Kragen. Um diesen Problemen vorzubeugen, empfiehlt es sich, solche Kleidungsstücke im Kaltwaschprogramm zu waschen, einen Guppyfriend-Waschbeutel gegen Faserbruch zu verwenden und bei dunklen Farben bei den ersten Wäschen ein Farbfangtuch beizulegen.

Wie Sie Kleidung aus recycelten Materialien pflegen, um maximale Lebensdauer zu erreichen?

Der Kauf eines qualitativ hochwertigen recycelten Kleidungsstücks ist nur die halbe Miete. Um die Investition langfristig zu sichern und die Lebensdauer zu maximieren, ist eine angepasste, schonende Pflege unerlässlich. Da recycelte Fasern – insbesondere aus mechanischen Prozessen – tendenziell empfindlicher auf Reibung und Hitze reagieren können, geht es bei der Pflege vor allem darum, die mechanische und thermische Belastung zu minimieren. Dies schont nicht nur das Kleidungsstück, sondern auch die Umwelt durch einen geringeren Energie- und Wasserverbrauch.

Der grundlegendste Grundsatz lautet: Waschen Sie seltener und gezielter. Anstatt ein ganzes Kleidungsstück nach einmaligem Tragen in die Maschine zu geben, reicht oft ein ausgiebiges Lüften über Nacht aus, um Gerüche zu neutralisieren. Kleinere Flecken lassen sich hervorragend lokal mit einer pH-neutralen Gallseife behandeln, ohne das gesamte Textil zu strapazieren. Wenn eine Wäsche unumgänglich ist, sollte sie so schonend wie möglich erfolgen. Wählen Sie stets ein Kaltwaschprogramm mit maximal 30 Grad und eine niedrige Schleuderdrehzahl. Verwenden Sie milde Fein- oder Wollwaschmittel ohne Bleichmittel oder optische Aufheller, da diese die Fasern angreifen können.

Minimalistische Darstellung von Kleiderpflege mit natürlichen Mitteln

Der größte Feind von Faserintegrität ist der Wäschetrockner. Die hohe Hitze und die ständige Reibung fördern Faserbruch und Pilling und können zu unkontrolliertem Einlaufen führen. Die mit Abstand beste Methode ist die schonende Lufttrocknung auf einem Wäscheständer, idealerweise liegend für schwere Strickwaren, um ein Ausleiern zu verhindern. Kleinere Reparaturen, wie eine offene Naht oder ein lockerer Knopf, sollten sofort erledigt werden, bevor sie zu größeren Schäden führen. Der Besuch eines lokalen Repair Cafés kann hier eine kostengünstige und gemeinschaftliche Alternative zur Neuanschaffung sein.

Secondhand oder nachhaltige Neuware: Was ist ökologischer und alltagstauglicher?

Die Entscheidung für eine nachhaltigere Garderobe führt unweigerlich zu der Frage: Ist es besser, einer bereits existierenden Jeans ein zweites Leben zu schenken oder in eine neue, aber aus recycelten Materialien gefertigte Jeans zu investieren? Ökologisch hat Secondhand auf den ersten Blick die Nase vorn, da keine neuen Ressourcen für die Produktion benötigt werden. Doch bei der Betrachtung von Alltagstauglichkeit und langfristigem Wert verschiebt sich das Bild. Die entscheidende Metrik hierfür ist der „Cost-per-Wear“ (Kosten pro Tragen).

Eine günstige Secondhand-Jeans für 25 € mag verlockend sein, doch ihre Vorgeschichte ist unbekannt. Möglicherweise wurde sie bereits häufig getragen und gewaschen, ihre Faserstruktur ist geschwächt und sie hält nur noch 50 weitere Tragezyklen durch. Dies ergibt Kosten von 0,50 € pro Tragen. Eine hochwertige, recycelte Jeans für 90 € hingegen ist für eine Lebensdauer von mindestens 300 Tragezyklen konzipiert, was den Cost-per-Wear auf 0,30 € senkt. Hinzu kommt der Faktor Passform: Bei Secondhand-Ware gibt es keine Garantie, und eventuelle Änderungskosten von 15-20 € müssen einkalkuliert werden, während Neuware perfekt passend gekauft und bei Bedarf umgetauscht werden kann.

Cost-per-Wear Vergleich: Secondhand vs. Recycelte Neuware
Kriterium 25€ Secondhand-Jeans 90€ Recycelte Jeans
Erwartete Tragezahl 50 Mal 300 Mal
Cost-per-Wear 0,50€ 0,30€
CO2-Transport (Deutschland) 2kg (lokal) 5kg (EU-Produktion)
Passform-Garantie Keine Vollständig
Änderungskosten Ø 15-20€ 0€

Die Wahl hängt stark vom Kleidungsstück ab. Eine Einschätzung des Umweltbundesamtes unterstreicht diese Differenzierung. In einer Studie zum Textilkonsum von 2024 wird die Abwägung prägnant zusammengefasst:

Für High-Tech-Regenjacken sind neue recycelte Materialien überlegen, für klassische Wollmäntel ist Secondhand eine qualitativ gleichwertige und ökologischere Alternative.

– Umweltbundesamt, BMUKN Studie zu Textilkonsum 2024

Für hochfunktionale, technische Kleidung, bei der es auf garantierte Performance (z.B. Wasserdichtigkeit) ankommt, ist recycelte Neuware die klügere und sicherere Wahl. Für zeitlose Klassiker wie Wollmäntel oder Lederjacken, deren Qualität auch nach Jahren noch hoch ist, stellt Secondhand oft die sowohl ökonomisch als auch ökologisch beste Option dar.

Kaschmir oder hochwertige Synthetik: Was ist langlebiger für ein 300 € Investment?

Im Premium-Segment stellt sich die Frage der Langlebigkeit noch schärfer. Nehmen wir ein typisches Investment von 300 € für einen Pullover. Die traditionelle Wahl wäre recyceltes Kaschmir, das für Luxus und Weichheit steht. Die moderne Alternative ist eine hochtechnologische, recycelte Synthetikfaser wie Primaloft Bio, die oft in hochwertiger Outdoor- und Sportbekleidung zum Einsatz kommt. Oberflächlich betrachtet scheint die Naturfaser die edlere Wahl, doch eine technische Langzeitanalyse offenbart ein anderes Bild.

Das Hauptproblem von recyceltem Kaschmir ist seine extreme Pilling-Anfälligkeit. Da beim Recycling die feinen Kaschmirfasern unweigerlich verkürzt werden, neigen sie stark zur Knötchenbildung. Langzeittests zeigen, dass ein solcher Pullover oft schon nach 20-30 Wäschen starkes Pilling aufweist, was eine regelmäßige und kostspielige professionelle Pflege oder manuelle Behandlung erfordert. Im Gegensatz dazu zeigt eine hochwertige recycelte Synthetik wie Primaloft Bio selbst nach 300 Waschzyklen kaum Abnutzungserscheinungen. Ihre Faserstruktur, die durch chemisches Recycling gewonnen wird, ist extrem glatt und robust, was sie unempfindlich gegenüber Reibung macht.

Diese technische Überlegenheit spiegelt sich direkt in den Gesamtkosten über einen Zeitraum von fünf Jahren wider. Während der Synthetik-Pullover außer dem Anschaffungspreis kaum Folgekosten verursacht, summieren sich beim recycelten Kaschmir die Ausgaben für professionelle Reinigung und Anti-Pilling-Behandlungen schnell auf mehrere hundert Euro. Am Ende des Lebenszyklus zeigt sich ein weiterer Vorteil: Primaloft Bio ist so konzipiert, dass es biologisch abbaubar ist oder erneut in einem hochwertigen Faser-zu-Faser-Prozess recycelt werden kann, während das Recycling von stark abgenutztem und behandeltem Kaschmir schwierig ist.

Langzeitkosten-Analyse über 5 Jahre
Kostenfaktor Recyceltes Kaschmir Primaloft Bio
Initialpreis 300€ 300€
Professionelle Reinigung/Jahr 60€ x 5 = 300€ 0€ (Heimwäsche)
Anti-Pilling Behandlung 50€/Jahr = 250€ 0€
Gesamtkosten nach 5 Jahren 850€ 300€
Recyclingfähigkeit danach Schwierig 100% Fiber-to-Fiber möglich

Das Wichtigste in Kürze

  • Qualität ist messbar: Die Haltbarkeit hängt vom Recyclingverfahren ab (chemisch > mechanisch). Prüfen Sie Stoffe selbst durch Dehn-, Reib- und Haptiktests.
  • Kontext ist entscheidend: Recyceltes Polyester (rPET) ist ideal für robuste Jacken, während bei T-Shirts Mischungen mit Bio-Baumwolle für Komfort sorgen.
  • Langfristig denken: Betrachten Sie den „Cost-per-Wear“. Ein teureres, aber langlebigeres Teil ist oft die nachhaltigere und günstigere Wahl als günstige Secondhand-Ware mit unbekannter Lebensdauer.

Wie Sie in 6 Monaten schrittweise zu 80% nachhaltiger Mode wechseln

Der Wechsel zu einer nachhaltigeren Garderobe ist kein Sprint, sondern ein Marathon. Anstatt den gesamten Kleiderschrank auf einmal auszutauschen, ist ein strategischer, schrittweiser Ansatz über einen längeren Zeitraum sinnvoller und erfolgreicher. Das Ziel ist nicht Perfektion, sondern ein bewusster Prozess, der auf Analyse, gezielter Investition und der intelligenten Nutzung vorhandener Ressourcen basiert. Ein Sechs-Monats-Plan kann dabei helfen, den Überblick zu behalten und das Ziel von 80% nachhaltiger Mode – eine Mischung aus hochwertiger recycelter Neuware, Secondhand und reparierten Stücken – realistisch zu erreichen.

Monate 1-2: Die Bestandsaufnahme. Der erste Schritt ist eine ehrliche Analyse dessen, was Sie besitzen. Gehen Sie Ihren gesamten Kleiderschrank durch. Was tragen Sie wirklich? Aus welchen Materialien bestehen Ihre Lieblingsteile? Erstellen Sie eine präzise Einkaufsliste mit den Dingen, die Ihnen wirklich fehlen. Dies verhindert Impulskäufe.

Monate 3-4: Recherche und gezielte Investition. Nutzen Sie die erstellte Liste, um gezielt nach nachhaltigen Alternativen zu suchen. Plattformen wie Avocadostore oder GetChanged bieten eine gute Übersicht über zertifizierte Marken in Deutschland. Investieren Sie in ein oder zwei hochwertige Schlüsselstücke aus recycelten Materialien, bei denen Sie die in diesem Artikel gelernten Qualitätschecks anwenden, zum Beispiel eine langlebige rPET-Jacke.

Monate 5-6: Reparieren und Lücken füllen. Bevor Sie weiter neu kaufen, widmen Sie sich der Pflege und Reparatur. Besuchen Sie ein Repair Café oder einen lokalen Schneider, um mindestens drei alte, aber geliebte Teile wieder tragbar zu machen. Die verbleibenden Lücken auf Ihrer Liste können Sie nun gezielt über Secondhand-Plattformen wie Vinted oder Mädchenflohmarkt füllen, um den Kreislauf zu schließen. Am Ende des sechsten Monats führen Sie eine Erfolgskontrolle durch: Wie hoch ist der Anteil an bewusst ausgewählten, nachhaltigen Stücken in Ihrer Garderobe?

Beginnen Sie noch heute mit der Analyse Ihrer Garderobe. Dieser erste, bewusste Schritt ist die Grundlage für einen Kleiderschrank, der nicht nur stilvoll, sondern auch wirklich nachhaltig und langlebig ist.

Geschrieben von Anna Schneider, Anna Schneider ist Figurberaterin und Maßschneidermeisterin mit 22 Jahren Berufserfahrung. Sie absolvierte ihre Ausbildung zur Maßschneiderin und machte 2008 ihren Meisterabschluss. In ihrer Münchner Schneiderwerkstatt berät sie Kundinnen zu figurgerechten Schnitten und fertigt maßgeschneiderte Kleidung sowie Passform-Anpassungen.